Mittwoch, 8. Juni 2016

LIEBEN KÖNNEN

Mereth

„Ich bin die Katastrophenfrau hier.“ Ein verschüttetes Glas Wasser ist eine Katastrophe. Es gibt eine bestimmte Generation von Frauen, die unter keinen Umständen der Welt zur Last fallen wollen. Frauen um die 80. Kriegskinder. Kriegstöchter. Frauen wie Mereth.

Mereth liest Nadine Gordimer. Sie verehrt diese Schriftstellerin. Langsam und bedächtig redet sie mit einer sehr gewählten Sprache. Manchmal nach Worten suchend. Das aber nicht aus Wortfindungsschwierigkeiten, sondern weil sie nach dem passenden Ausdruck sucht. Sich Zeit nimmt. Ich merke, dass sie das schon immer getan hat. Worte sind ihr wichtig. Den richtigen Ton finden.
Sie erzählt von Nadine Gordimer, ihren Romanen, ihre Kämpfe gegen die Apartheit, ihr Verhältnis zu Nelson Mandela. Mereth erzählt so, als würde sie sie kennen. Eine Frau wie sie, eine afrikanische Schriftstellerin, vielleicht im gleichen Alter. Mereth war noch nie in Afrika. Sie erzählt lange und langsam, während ich ihr Stück für Stück das Essen reiche. Sie legt ihre Worte auf die Waagschale.

Später sprechen wir über ihre Tochter, zu der sie eine innige Verbindung hat. Leise und mit Bedacht kommt der Satz: „ … wenn man in so einer tiefen Harmonie lebt - dann geht die doch über das Zeitliche hinaus - geht über das Sterben hinaus … „
Ein Seufzer von - der Tod ist nahe. Ach ja, der Tod. Der Tod kennt keinen Aufschub.
Ich weiß nicht, ob sie das nächste Mal noch da sein wird.