Dienstag, 28. Juni 2016

GHOSTWRITER_in

Die Welt ist voller Muster. Muster spiegeln unsere Gewohnheiten, Routinen, Schönheitsideale. Es gibt Zeiten, in denen Muster keine Gültigkeit mehr haben, wenn kein Tag mehr wie der andere ist. Zeiten, die aus dem gewohnten Rahmen fallen, sind oftmals Extremsituationen, Ausnahmezustände und voller Geheimnisse.
 

Seit vielen Monaten begleite ich eine junge Frau, die sterben wird. Zwischen uns hat sich im Laufe der Zeit eine tiefe Verbindung entstanden. Seit einigen Wochen bin ich ihre Ghostwriterin, d.h. ich schreibe für sie ihre Gefühle, Stimmungen und Gedanken auf, die sie mir mitteilt. Ich schreibe ihr kurze Texte, in denen sie sich wiederfinden kann. Sätze, die Räume zum Nachdenken und Türen zum Weiterdenken öffnen. Einer dieser Texte geht so:


Auszug
Schönheit
Seit gestern sind meine Fingernägel wieder so, wie sie sein sollen. Orange. Monatelang habe ich sie vernachlässigt. Ich hatte keine Zeit und keine Kraft für Maniküre, obwohl mir meine Hände viel bedeuten. Ich mag meine Hände, sie sind lang und ausdrucksstark. Jetzt, mit orangefarbenen Fingernägeln und dem Piercing am rechten kleinen Finger schaue ich sie mir wieder gerne an, lasse sie für sich sprechen.
 

Die Veränderungen meines Körpers möchte ich mir am liebsten nicht anschauen, möchte wegsehen und sie verstecken. Sie stimmen nicht mit meiner Vorstellung von Schönheit überein. Früher war ich stolz auf meine Rundungen, meinen Busen, mein Dekolleté, meinen Hintern. Ich fühlte mich begehrenswert und sexy. Ich fühlte mich nicht nur so, ich war es auch.

Heute bin ich dünn und finde keine Rundungen mehr. Lange habe ich nicht mehr richtig in den Spiegel geschaut. Ich kann mein Spiegelbild nicht ausstehen, empfinde meinen Körper beinahe als eine Zumutung, weil er meine Krankheit und meinen Zustand verrät. Doch auch das verändert sich.
Manchmal mache ich mich schön, verwöhne mich und lasse mich verwöhnen. Duftende Bäder und Makeup. Ich mag nach wie vor nicht gerne in den Spiegel schauen, mag dem, was mich anschaut, nicht begegnen. Aber manchmal werfe ich doch einen verstohlenen Blick hinein und spüre die Schönheit, die in mir ist. Eine neue Schönheit. Eine unbekannte Schönheit. Eine entspannte Schönheit, die mit sich im Einklang ist – oftmals.

Manchmal bin ich richtig neugierig auf diese neue Schönheit.


---

Meine blog-Einträge werden mit Zeichnungen von geflüchteten Menschen begleitet,
die gerade in Hamburg angekommen sind. Sie sind auf
Kunstaktionen vor ihren Notunterkünften entstanden.
Es ist mir eine große Ehre, dass ich dabei fotografieren durfte.
DANKE! 
 

Fensterreihen, Vogelschwärme, Häuser
Kinder aus Syrien, Afghanistan und dem Kosovo
7 Tage nach ihrer Flucht






Montag, 20. Juni 2016

MADAME oder der Duft des Salzes

 
Hiltrud*

Wenn ein Mensch „plötzlich und unerwartet“ stirbt, dann bleibt etwas zurück. Ein nicht getätigter Anruf, eine vermeintlich falsche Reaktion, eine zu schnelle Absage.
Es gibt Menschen, die sind so speziell, dass ihre Gegenwart schwer auszuhalten ist, beinahe weh tut – für mich. Zu diesen Menschen gehörte auch Hiltrud*. Eine Spur zu direkt, zu penibel, zu impulsiv, zu fordernd, zu schroff, zu engagiert, zu nah. Aber: Sie stellte mit der ihr eigenen Art eine Frage, die uns alle interessierte. „ Wie kommt die Kunst ins Leben?“.
 
Wir – 5 Frauen – haben uns mit dieser drängelnden Frage im Hinterkopf kennengelernt. Wir haben einen Raum geschaffen, indem etwas scheinbar Unmögliches möglich wurde. LIXE* – Kunst im Exil. LIXE*-Zeit. Verbunden hat uns die Suche nach einem Zustand der schöpferischen Hingabe und der Wunsch, „die Kunst ins Leben zu holen“. Wir haben uns in regelmäßigen Abstanden gemeinsam darauf eingelassen. Die dabei entstandenen „Werke“ sprachen wie alle „Kunst-Werke“ immer Bände und konnten kaum etwas von dem verbergen, was uns im Innersten berührt hat. Es ging uns um das genaue Hinschauen und um das aufmerksame Zuhören. Wir haben uns gut kennengelernt. Sehr gut. Zu gut.
 
Das Niemandsland, das Hiltrud beschreibt, hat sich nach unserer gemeinsamen LIXE*-Zeit betreten. „Dann mach ich mir eben meine eigene Chemo und wenn die nicht funktioniert, dann ab ins Licht“ hat sie gesagt. Ich wusste nichts von ihrer Erkrankung. Wenn ich es gewusst hätte, dann hätte ich mich möglicherweise anders verhalten. Hätte vielleicht eher angerufen, hätte unter Umständen eine neue Begegnung gesucht. Hätte, hätte, hätte. Wo kann ich dem, was offen bleibt, begegnen?
Vielleicht sollte ich mir bei den Menschen, die mir begegnen, immer wieder einmal vorstellen, dass sie „plötzlich und unerwartet“ oder auch „viel zu schnell“ sterben könnten. Vielleicht verändert allein diese Vorstellung das Zusammenleben?

Ein Versuch ist es wert. Ich probiere es einfach aus. Mal schauen, was sich verändert. Für Hiltrud.


FÜLLE von LIXE
(* Name geändert)
 


Mittwoch, 8. Juni 2016

LIEBEN KÖNNEN

Mereth

„Ich bin die Katastrophenfrau hier.“ Ein verschüttetes Glas Wasser ist eine Katastrophe. Es gibt eine bestimmte Generation von Frauen, die unter keinen Umständen der Welt zur Last fallen wollen. Frauen um die 80. Kriegskinder. Kriegstöchter. Frauen wie Mereth.

Mereth liest Nadine Gordimer. Sie verehrt diese Schriftstellerin. Langsam und bedächtig redet sie mit einer sehr gewählten Sprache. Manchmal nach Worten suchend. Das aber nicht aus Wortfindungsschwierigkeiten, sondern weil sie nach dem passenden Ausdruck sucht. Sich Zeit nimmt. Ich merke, dass sie das schon immer getan hat. Worte sind ihr wichtig. Den richtigen Ton finden.
Sie erzählt von Nadine Gordimer, ihren Romanen, ihre Kämpfe gegen die Apartheit, ihr Verhältnis zu Nelson Mandela. Mereth erzählt so, als würde sie sie kennen. Eine Frau wie sie, eine afrikanische Schriftstellerin, vielleicht im gleichen Alter. Mereth war noch nie in Afrika. Sie erzählt lange und langsam, während ich ihr Stück für Stück das Essen reiche. Sie legt ihre Worte auf die Waagschale.

Später sprechen wir über ihre Tochter, zu der sie eine innige Verbindung hat. Leise und mit Bedacht kommt der Satz: „ … wenn man in so einer tiefen Harmonie lebt - dann geht die doch über das Zeitliche hinaus - geht über das Sterben hinaus … „
Ein Seufzer von - der Tod ist nahe. Ach ja, der Tod. Der Tod kennt keinen Aufschub.
Ich weiß nicht, ob sie das nächste Mal noch da sein wird.
 
 

 

Freitag, 3. Juni 2016

HOSPIZ

Früher gab es Hospize im Kloster. Es waren die Unterkünfte, in denen vorbeiziehende PilgerInnen übernachten und sich für die weitere Reise an Leib und Seele stärken konnten – sie hatten also nichts mit Tod und Sterben, höchstens mit einer Art von Verwandlung, die auf einer Pilgerreise entstehen kann.Gespräche, Gesten, Augenblicke und Berührungen in der heutigen Hospizarbeit „erden“, erinnern an die Schönheit im Leben, lassen so etwas wie Demut oder Ehrfurcht empfinden.

Die Begegnungen mit sterbenden Menschen, ihren Freunden und Angehörigen, sind oftmals „pur": unverstellte Gefühle, offene Fragen, tiefe Sehnsüchte. Es geht um die unterschiedlichsten Formen der Liebe, die gesucht, vermisst, bestaunt, gelebt oder genossen wird. Um Angst und Unsicherheit natürlich auch und um grundsätzliche Fragen, was noch wichtig ist im Leben – oder eben auch nicht mehr. Es geht aber auch um profane Alltäglichkeiten, konsequente Verdrängungen und liebgewonnene Gewohnheiten.

Die Geschichten, die diese Begegnungen erzählen, handeln im Grunde immer von der Kunst des Lebens. „Du stirbst wie du lebst.“ – ein Satz, der oft im Zusammenhang mit der Hospizarbeit fällt.
Wie gelingt ein glückliches Sterben? Wie gelingt ein glückliches Leben? In dieser Hinsicht können wir viel von sterbenden Menschen lernen, denn sie sind an einer Schwelle angekommen, an der es nur noch selten Generalproben oder Probeläufe gibt.

In den Geschichten vom Sterben und Lieben möchte ich das Wertvolle und Kostbare dieser Begegnungen mit sterbenden Menschen in den Mittelpunkt stellen.

 
 
Pilgerherberge
auf dem Camino
in Spanien

Mittwoch, 1. Juni 2016

DER ANFANG

Es fing an, als ich für B. Geschichten schrieb. Geschichten von ihrem eigenen Sterben. Geschichten für eine Sterbende im Angesicht ihres Todes. B. wollte diese Geschichten von mir haben. Ich habe es für B. gemacht, weil sie es  nicht mehr selber konnte. Sie hatte wie viele Sterbende nichtmehr die Kraft dazu. Ich habe B. meine kreativen Möglichkeiten zur Verfügung gestellt, damit sie sich in den Geschichten wiederfinden kann. Um ihr einen Raum für ihre Gedanken und Gefühle zurückzugeben.

Wenn ich auf meine Arbeit als Künstlerin schaue, so ist diese geprägt von einer permanenten Fragestellung zu Vergänglichkeit, zu der Endlichkeit des Seins, zu Leben und Sterben und dem, „was bleibt?“. Im Laufe der letzten Jahrzehnte ist dazu eine Unmenge an Recherchematerialien, Bilder, Texte, Fotoserien, Collagen und Klänge entstanden.

So ist es kein Wunder, dass ich seit einigen Jahren im ambulanten Hospiz Menschen am Ende ihres Lebens begleite. Hospizarbeit ist Ehrensache. Es ist mir eine Ehre, wenn Menschen in ihrem letzten Lebensabschnitt noch einmal zu mir, einem fremden Menschen, Vertrauen aufbauen können, sich anvertrauen, sich von mir begleiten lassen.

Seit meiner Hospizarbeit schreibe ich Tagebuch über die Menschen, die mir dort begegnen. Tagebuchschreiben ist eine gute Möglichkeit, sich etwas von der Seele zu schreiben. Auch das muss sein.
In diesem blog möchte ich diese Geschichten vom Sterben und Lieben weitergeben und der Frage nachgehen, wie es sich im Angesicht des Todes leben lässt. Ich möchte über die unterschiedlichsten Umgangsformen mit dem Tod nachdenken und sehen, was das mit meinem Alltag macht. Und ich möchte herausfinden, ob Kreativität und Kunst für sterbende Menschen wichtig sein könnten - und wenn ja, wie?

Und auch, ob es vermessen ist, sich auf diese Art und Weise diesen Themen zu nähern.
 
Somit ist dieser blog auch für mich eine Reise in ein unbekanntes Terrain.